Autobiographie

Für wen singe ich - und warum?

Anfang meiner Autobigraphie


Bin ich der rechte Mann  am rechten Platz?


Zu viel von allem - das ging  nicht

Für wen singe ich eigentlich?

Das war die Frage. Die habe ich mir im November 1985 gestellt, als ich über die Umzugskartons gestolpert  bin in der Gitarrgatan in Karlstad als Kulminierung einer turbulenten Zeit, einer Zeit von zu viel von allem: zu viele Vorstellungen und Konzerte, zu viele Reisen usw. usf., was auch dazu beigetragen hat, dass die damalige Ehe gescheitert ist. Es kam ebenfalls zu einem Konflikt in mir wegen der Kinder.

Wie bekannt, ist geteilte Freude doppelte Freude  und geteiltes Leid halbes Leid.

Nunmehr sieht man auch die Vorteile des Eremitendaseins - Zeit für sich selbst zu haben, essen, was man

möchte, ins Bett zu gehen, wann man will ... Mit anderen Worten, den Tag so zu nehmen, wie er kommt.


Das “Zuviel” auf  der beruflichen Seite zu dieser Zeit war z. B. “La Bohème”, Sweeny Todd, Beethovens  “Neunte”, Händels “Messias”, die Bach-Passionen, Schallplattenaufnahmen, verschiedene Solokonzerte etc. Alles dies machte natürlich sehr große Freude, hier mitwirken zu dürfen, hat aber auch zu sehr viel Stress geführt. Vielleicht ist es logisch, dass auch das Herz später ein paar Schläge bekommen hat. Der ersta Herzinfarkt kam 1998, der zweite 2007 und der dritte 2010.


Schwierig, aber erfreulich

Ein Detail, worüber meine “Mimi” aus “La Bohème” und ich uns bei jeder Vorstellung  amüsiert haben, war, dass ich bei der Arie: “Wie eiskalt ist dies Händchen” (Che glida manina) die kältere Hand hatte!


Dies, weil ich mir der Schwierigkeiten bei dieser bekannten Arie sehr bewusst war - mit hohem C und allem, plus ein superempfindliches Ende der Arie, im Pianissimo auf zweigetrichenem ess.


Win win

In der Hamburger Oper hatten wir einen Sänger, der immer im Spaß zu sagen pflegte “Wir singen nicht für die, wir singen ja für uns”. Die Wahrheit ist natürlich, dass es zwar von einem selbst ausgeht,. Aber wenn man als Interpret dasteht, interagiert man natürlich mit den Zuhörern. Es entsteht eine Win-win-Situation.


Viele Faktoren für ein musikalisches Erlebnis

Kann man irgendetwas  an  beständigem Wert den Zuhörern mitgeben, dann kommt auch etwas zurück. Wunderbar zu wissen,  gut zu fühlen.


Wenn ich selber in ein Konzert gehe, pflege ich zu denken: Bin ich auch nur für zwei Takte so stark berührt, dass es mir kalt den Rücken hinunter läuft, dann bin ich schon hoch befriedigt. Es darf dem Erlebnis aber nichts im Wege stehen, wie Maniriertheit, eine kühle Austrahlung, schlechte Technik etc.


Ich erinnere mich an Konzerte mit dem Dirigenten Georges Prêtre in Wiens Musikverein, wo ich selber auch solistisch gewirkt habe. Schon bei seinem Auftritt auf der Bühne fühlte ich eine starke Wärme, eine sympathische Ausstrahlung, eine Erwartung, dass das Konzert  gleich beginnen würde. Dieses positive Gefühl war den ganzen Abend spürbar.


Das Gleiche hat man gespürt bei einem Konzert in Florenz, als ich 1980 dort weilte, um den Rodolfo (“La Bohème”) einzustudieren. Ich besuchte dort ein Konzert  mit Kurt Masur. Dort spürte ich die gleiche Wärme im Herzen und im Konzertsaal.


Nur die Tatsache , dass solche Gelegenheiten im Gedächtnis bleiben, sind Beweise dafür, dass nur etwas Echtes die Seele zum Schwingen bringt.


Als ich vor ein paar Jahren ein Konzert mit meiner Tochter Linnéa besuchte, stand Beethovens “Neunte” auf dem  Programm. Schon vor Beginn des Abendss musste ich mit meinen Gefühlen kämpfen, um nicht zu weinen. Mehrere Ursachen  bewirkten meine Gefühle: teils, dass meine  jüngste Tochter mit ihrem Vater in ein klassisches Konzert wollte, und teils, weil ich wusste, welches herrliche Werk uns erwartete. Außerdem gingen die Gedanken zurück ins Jahr 1979, als ich die Freude gehabt hatte, zum ersten Mal die Tenorpartie in der Neunten Sinfonie singen zu dürfen, mit dem großartigen Dirigenten Carlo Maria Giulini im Konzerthaus in Stockholm. Übrigens habe ich dieses wunderbare Werk mehrmals gesungen, u .a. In Deutschland.


Mein Weg zur emotionalen Berührung kann manchmal etwas “speziell” sein. Ich kann sogar von Humor berührt werden. Aber man muss  immer spüren, dass es von einem sympathischen Menschen dargeboten wird.

Begabung und  Echtheit sind eine gute Kombination, plus natürlich eine gute Komposition , mit feiner Agogik ausgeführt.


Ich habe beigetragen zu diesem “etwas”

Es grenzt vielleicht an Hybris, zu erzählen,. dass ich selber als Sänger sehr gefühlvolle Geschehnisse erlebt habe, wie zum Beispiel in Piteä einmal in den 70er Jahren . Nach einem Liederabend, den ich dort gegeben hatte, kam eine Frau mit rotgeweinten Augen, hat mich umarmt und bedankte sich, dass ich ihr Leben gerettet habe! Sie hatte ganz die Lebensfreude verloren und hatte sich entschlossen, ihr Leben zu beenden. Ihr Ausdruck wirkte auf mich sehr echt - ich habe ihr wirklich geglaubt, dass das Konzert ihr geholfen hat, weiter zu leben. Ich habe mir ihre Geschichte lange angehört, und ich hoffe und will glauben, dass sie weiter lebte und heute auch  noch lebt.


Schwierige Kombination

Im Anfang der Karriere galt für mich, nur zu singen ...  Man schaffte so viel und wollte “alles”. Diese Kombination ist immer noch  sehr spürbar.

Aber das “unsichtbare Instrument “ (die Stimme) ist sehr empfindlich, leicht zu beeinflussen, jedenfalls wenn man eine sensible Sängerpsyche hat. Glück oder Unglück bedeuten mehr, als man vielleicht glauben würde für die Tagesform.

Vieles Singen ist gut für die Stimmkondition,  das hält den musculus vocalis in Gang. Das ist dier positive Seite.

Ein stabiles Familienleben, verbunden  mit vielen Reisen, war schwer zu verwirklichen. Mein erster Gesangslehrer an der Hochschule Ingesund, Hans Wihlborg, hat zu Recht gesagt: “Heirate nicht zu früh, sondern  richte dich zuerst auf die Karriere ein.”


Zu hart gegen mich selbst  - eine der Ursachen, mit dem Singen aufzuhören

Die Situation eines Bühnenkünstlers kann manchmal zu spannend und verbunden mit Nervosität sein. Meistens habe ich doch diese Schwingungen gemocht: Vorbereitung, Einstudierung von einer Rolle / Lied / Partie, das Aufladen  der inneren Batterien, die Startstellung, der Adrenallin-Kick, Höhepunkt, Entladung, bis zum schönen Gefühl danach. Zumindest  dann, wenn es gut gegangen ist.

Ich habe immer versucht, mir einzureden, dass es etwas taugt, was ich darbiete, und vor jedem Auftritt auch gedacht: Heute wird es mein bisher bester und entspanntester Auftritt sein. Ich wollter, dass es so werden sollte wie mein Freund und Lehrer Hans Gertz nach jedem Auftritt zu sagen pflegte: “Das bisher Beste!”

Man will immer das Beste geben und das Publikum nicht enttäuschen.

Aber im November 1985 hatte ich ein so ungutes Gefühl , dass ich mich entschloss, mit dem Singen aufzuhören. Ich hatte damals die Tenorpartie in Dvoraks Requiem im Stockholmer Konzerthaus. Sicherlich beruhend auf zu vielem Singen, vermochte ich nicht, die Stimme frei zu entfalten. Als ich nach dem Konzert die Radioaufnahme hörte, war ich sehr enttäuscht! Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Ich entschloss mich daraufhin zum Aufhören. 

Die 80er Jahre waren sonst bis dahin meine beste Zeit, obwohl sehr arbeitsinternsiv, so dass der Fall sehr tief war, als ich mich entschloss, von dem “Gesangskarussell “abzuspringen.

Der Entschluss war also ganz mein eigener! Ein paar Tage vor dem Dvorak-Konzert hatte die “Nya Wermlandstidningen” ein Interview bestellt. Es wurde dann für mich ganz natürlich, en passant dem Journalisten gegenüber zu erwähnen,  dass ich die Jobs, die zu der Zeit aktuell waren - Anthony (Sweeny Tod). Rodolfo (Bohème) und die bis dahin kontraktierten Konzert  meine letzten Auftritte werden würden - dass ich mit dem Singen danach aufhöre. Die Überschrift zu dem Artikel hieß dann natürlich “Das letzte Mal für Erland Hagegard”.

Dieses nahmen die Reichspresse einschliesslich der bunten Blätter  eifrig auf. Infolgedessen  wurde diese Schlagzeile in großen Buchstaben überall verbreitet. Auch im Vergleich mit den Debüt-Rezensionen  1965, bei denen die Überschriften lauteten “Ein Sensations-Debüt”(Svenska Dagbladet), “Ein Artist tritt hervor” (Stockholmstidningen), “Schweden hat seinen Fischer-Dieskau bekommen” (Dagens Nyheter), es wurde damals auch im Zusammenhang mit dem Debüt ein Fernseh-Interview geführt.

1986 wurde ebenfalls ein Fernsehprogramm mit mir gemacht, diesmal mit dem Titel “Letztes Konzert”.


Zusätzliche Gründe zum Aufhören

“Man soll aufhören, wenn es am besten schmeckt”, pflegte meine erste Schwiegermutter häufig bei den Mahlzeiten zu sagen.

Das gilt sinngemäß auch für einen Künstler, womit gesagt ist, dass man nicht so lange weitermachen soll, bis es peinlich wird, weil die Stimme verschlissen ist und die Umwelt rät: “Höre endlich auf!”

Vielleicht war es auch etwas mutig, bereits als 40jähriger mit dem Singen aufzuhören. Außerdem meinte ich, dass ich schon so unglaublich viel Schönes erlebt hatte “auf den Brettern, die die Welt bedeuten” und Konzertestraden.- von Reykjavik bis Teheran -, so dass es genug sein könnte.

Als mein Entschluss gefasst war, fühlte ich mich seelenverwandt mit Glenn Gould, der schon mit 32 Jahren mit Konzertauftritten aufhörte. Danach widmete er sich nur Schallplattenaufnahmen. Seine sehr eigenartigen, temperamentvollen , sauberen und “kusprigen” Aufnahmen sind legendär geworden.

Auch Gioacchino Rossini, der nach einer Biografie, die ich  über ihn gelesen habe, hat die letzten Jahre sehr geruhsam verbracht. Trotzdem schuf  er spät im Leben  ein paar Meisterwerke wie “Stabat Mater” und “Petit Messe Solonnelle”. Also war es mehr seine Einstellung zum Leben, die man sybaritisch  nennen kann.


Seinen Beruf  mindestens einmal im Leben zu wechseln, ist durchaus sehr bereichernd.


Viel Resonanz

Nach meinem Absprung  wurde der Briefberg immer höher. Vielen herzlichen Dank Ihnen allen, die mir ihre netten Zeilen zugeschickt haben! Die meisten Zuschriften drückten Dankbarkeit aus und versuchten mich zum Weitersingen zu bewegen. Alle positiven Zurufe haben mich sehr berührt. Aber die Lebenssituation damals war derart, dass mein Beschluss fest stand.

Aber ich habe weiterhin eine innere Triebkraft und Freude gehabt an  Gesang und Musik, was man nicht wegnehmen  kann. Die Stimme wird heutzuge zwar nicht besser, auch wenn man noch so übt, aber  es macht immer noch verdammt viel Spaß.


Einmal Sänger, immer Sänger

Ein paar Jahre später konnte ich all den Konzerteinladungen   - auch dank der Unterstützung des Publikums - nicht widerstehen, sondern  trat allmählich auf den Bühnen wieder auf. Doch ich blieb standhaft, nie wieder Oper zu singen.


Nicht unsterblich

Man fühlt sich privilegiert, einigen Menschen etwas für die Seele gegeben zu haben. Wåhrend und nach meinen Herzinfarkten spürte ich eine innere Veränderung.  Konturen wurden schärfer.

Nach einem Infarkt nahm ich das Abendmahl - ich wusste, dass dem Pfarrer bekannt war, was mir geschehen ist. Ich wurde dabei von einer schwer zu beschreibenden Stimmung erfasst ...

Weinerliche Gefühle sind normal nach Herzinfarkten. Ich wurde so empfindlich, dass ich noch nicht einmal mir Kriegsbilder anschauen  und allzu heftige Musik anhören konnte, ohne dass es physisch weh tat.

In der Zeit nach dem ersten Infarkt war sogar die Musik von Beethoven mir zu unruhig, zu dramatisch. Ich vertrug nur weiche klassische Musik, fast wie der Goldene Schnitt in der Kunst.

Dieses hat sich nunmehr Gott sei Dank normalisiert, so dass ich jetzt wieder dramatische Musik hören kann und möchte.


Lichtstrahl

Als wir neulich “An die Freude” aus der Neunten Sinfonie von Beethoven  bei Youtube hochladen wollten,

fand ich ein Zitat vom Komponisten, das er am Ende seines Lebens geschrieben hatte: “Ich schließe meine Augen mit der gesegneten Gewissheit, dass ich ein Lichtstrahl auf der Erde hinterlassen habe.”

Ja, das hat er wirklich, Ludwig van Beethoven.

Der geringe “Lichtstrahl“, den ich hinterlassen darf, sind enige Interpretationen / Aufnahmen großer Musik. Ich habe mein Bestes getan mit dem Stimmaterial, das mir gegeben wurde.

Kann das jemandem Freude bereiten, dann erwärmt es mein Herz,


Sinn und Ziel

Ich bin anfangs mit dem Wind gesegelt, aber ich habe nicht gewartet, bis auch der Wind von hinten kam, sondern habe gelernt zu segeln.

Ich habe mich, so wie der “Fisch“, der ich bin, in stillen Wassern und auf Wasserfällen bewegt - bin mit und gegen den Strom geschwommen.

Ich bin die Berge hinauf geklettert, heruntergerutscht, aber wieder hinauf geklettert und habe auf der Spitze eine Flagge gehisst!

Aber das Natürlichste und Bemerkenswerteste für mich ist, dass ich Vater von den vier Kindern bin: Martin, Kristin, Harald und Linneá!!

Ich habe Liebe!!!


---  and “I do it my way” ...

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